3. Genealogentag in Gundelsheim

Am 23. April trafen sich in Gundelsheim 15 Genealogen, um sich über das Thema „Memorialistik als genealogische Quelle“ zu informieren und auszutauschen. In der Einführung verortete Ingrid Schiel, seit Oktober 2015 Geschäftsführerin des Kulturrats und des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, die Memorialistik als Hilfswissenschaft der Geschichte, die zwar keine eindeutigen Methoden für die Geschichtsforschung hat, aber eine wichtige Hilfe für Darstellung und Deutung des in der Vergangenheit Geschehenen ist. Zur Memorialistik gehören Tagebücher, Briefe, Autobiografien, Lebenserinnerungen, Reisebeschreibungen, Chroniken etc. Zum Unterschied zu Westeuropa, wo Erinnerungsliteratur erst im 18. Jahrhundert entstand, gab es in Siebenbürgen diese Art von Erinnerungsliteratur schon seit dem 16. Jahrhundert. Da diese Erinnerungen meist sehr subjektiv sind, sollten sie als genealogische Quellen immer nach der Intention hinterfragt, überprüft und aus sicheren Quellen ergänzt werden.
In seinem Vortrag „Schriftliche Selbstzeugnisse als genealogische Quellen“ hinterfragte Dr. Werner Klemm zunächst die Motivation solcher Zeugnisse, wobei er darauf hinwies, dass diese u.a. Erinnerung, Wehmut, Melancholie, Sehnsucht und Nostalgie sein können. Danach zeigte er anhand von Beispielen das breite Spektrum solcher „populärer Genealogie“ auf. Dazu gehörten Wandchroniken und Grabsteininschriften, Kalendereinträge, Chroniken und Tagebücher, Lebensbeschreibungen, Lebensläufe z.B. von Pfarrern, Klassenalben, Lebenserinnerungen und Fluchtberichte. Sonstige Erinnerungsliteratur, wie Zeitzeugenberichte, Tagebucheinträge, Briefsammlungen, Stammbücher und Gästebücher sowie Reisebeschreibungen sind ebenso ergiebige Quellen. Auch Dr. Werner Klemm wies auf die Subjektivität solcher Quellen hin und empfahl diese etwa anhand von Taufscheinen, Konfirmationsscheinen, Einbürgerungsbescheinigungen, Reisepässen, Impfnachweisen, Erbverträgen, Nachlassinventaren, Zunftbüchern usw. zu überprüfen.

In dem Vortrag „Evakuierung der nordsiebenbürgischen Sachsen im Herbst 1944 unter besonderer Berücksichtigung einschlägiger genealogischer Quellen“ ging Horst Göbbel zunächst auf die Ereignisse des Jahres 1944 ein. Er zeigte die Bewegungen der deutschen und sowjetischen Truppen und die der Evakuierung der Nordsiebenbürger. Damals wurden ca. 35000 Personen evakuiert (22000 mit Trecks, 10000 mit der Bahn). Da die Evakuierung sehr gut organisiert war, lasse sie sich aus Treckanweisungen, Bescheinigungen der Evakuierung und anderen Dokumenten sehr genau nachvollziehen. Der Historiker Göbbel zeigte dann ­anschaulich anhand von Beispielen, wie der emotionale Wert des Geschehenen aus der Erinnerung wiedergegeben wurde. Er brachte Beispiele aus Dr. Thomas Frühn („Wetterleuchten über Siebenbürgen“, 1956), Robert Gassner („Aufzeichnungen aus meinem Leben“, 1945) oder Erinnerungen der eigenen Mutter. Außerdem erwähnte er die Schriften von Gustav Zikeli, Andreas Scheel, Georg Felker, Prof. Dr. Friedrich Krauss u.a. Aufmerksame Teilnehmer des dritten ...Aufmerksame Teilnehmer des dritten Genealogentages in Gundelsheim am Neckar. Foto: Martin Buck Dr. Renate Weber zeigte in ihrem Vortrag „Familienforschung und Deportationsforschung – wo gibt es Schnittstellen?“, wie in dem 1996 erschienenen Buch „Die Deportation der Siebenbürger Sachsen in die Sowjetunion 1945-1949“ (drei Bände) die Aufarbeitung des historischen Geschehens nach ausgewählten Merkmalen erfolgt sei. Dabei standen bei den Forschungen nicht Familieninteressen im Vordergrund, sondern das Geschehene im Spiegel der Erinnerungen. Ein gutes Beispiel dafür, dass Erinnerung nicht gleich Geschehen ist, sei die Perzeption der Arbeitsnummern in den Lagern. Auch sei der Zusammenhang des eigenen Leides mit dem von den Nazis entfesselten Krieg nicht gesehen worden. Die verwendeten Quellen waren Dokumente aus 17 Archiven, Tagebücher, Gedichte, ­Berichte und Erhebungsbögen, die in Zusammenarbeit mit den HOGs erstellt wurden. Die Arbeiten hatten 1988 begonnen, so dass nicht alle notwendigen Quellen zugänglich waren. Nach 1989 wurden im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien in Hermannstadt weitere Recherchen angestellt. So konnten aus Namenslisten, Heimkehrerlisten (Focşani, ­Sighet, Oradea), Matrikel-Vormerkungen, Deportiertenkarteien und Totenlisten die Erhebungsbögen (Erinnerungen) korrigiert und Doppelungen gestrichen werden.

Nach dem Mittagessen zeigte Ingrid Schiel bei einer Führung durch die Bibliothek, wo und wie Erinnerungsliteratur in Regalen aufbewahrt wird. Dabei wurden auch einige Raritäten gezeigt. Sie erklärte, dass z. B. die Persönlichkeitensammlung von Balduin Herter angelegt wurde. Dafür wurden Personen angeschrieben und um Lebensläufe gebeten. Dazu kamen dann später viele andere Dokumente, Zeitungsartikel, Briefe etc. Ähnlich dazu gibt es ein Künstlerarchiv, das auch die verschiedensten Berufsbilder umfasst. Viele Erinnerungen sind auch als Typoscript in der Bibliothek vorhanden. Weitere Erinnerungsliteratur sind Heimatbücher, Autobiografien, Reisebeschreibungen u.v.m. Die Bestände der Bibliothek können über die Online Recherche des Siebenbürgen Instituts oder die der Heidelberger Universität (HEIDI) eingesehen werden.

Hermann Schobel hatte seinen interessanten Vortrag „Vergilbte Dokumente bezeugen althergebrachte Tradition und Bestrebungen“ genannt. Er versucht die von seinem Großvater angelegte Familienchronik in einer zeitgerechten Form fortzuführen (als Powerpoint-Präsentation), um das Interesse seiner Enkel für die Familientradition zu wecken. Er zeigte dann einige der vergilbten Dokumente aus der Familienchronik, u.a. das Hausbuch des Urgroßvaters, einen Reisepass (1839), die Namensgeschichte der Familie Kisch oder ein Lebenslauf des Adolf Gottschling.

Abschließend zeigte Gudrun Kaul (geb. Weiss) eine Familienchronik der Familie Weiss, die schon im 18. Jahrhundert in Kronstadt als Handwerker tätig waren (Messerschmiede, Tuchscherer, Riemer).

Zusammenfassend war der 3. Genealogentag eine sehr aufschlussreiche Veranstaltung über die Tradition der Erinnerungsliteratur in Siebenbürgen sowie über die vielfältigen Möglichkeiten der Recherche in der Siebenbürgischen Bibliothek in Gundelsheim.

Bernd Eichhorn

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